Zwischen Überleben und Leben
Die Kunst mit Krankheit aufrecht durchs Leben zu gehen und nicht die meiste Zeit…
…zu jagen, immer dem Ziel entgegen noch ein Quäntchen herauszuholen und noch ein bisschen „gesünder“ zu werden und darüber komplett das Leben zu vergessen.
…zu kriechen, weil die Last einen schier erdrückt.
Manchmal scheint das Leben aus diesen zwei Extremen zu bestehen, die beide in eine andere Art von „getrieben“ fallen. Sie beide fallen in die Kategorie Überleben und nicht „Leben“ im eigentlichen Sinne.
Die erstere Kategorie ist noch gepaart mit dem Adrenalin und Kampfgeist und der unterschwelligen Verzweiflung, dass man in diesem Zustand nicht leben, sondern maximal existieren kann. Auch wenn diese Geisteshaltung absolut verständlich ist und proaktiv ist, d.h. anstatt sich der Hoffnungslosigkeit hinzugeben, wird „gekämpft“ und versucht, das Beste herauszuholen. So besteht doch das Problem, dass wer nur kämpft in der Regel einen Tunnelblick entwickelt und vieles beginnt, dem Ziel unterzuordnen.
Ich bitte diesen Teil nicht misszuverstehen, es ist absolut essentiell, dass wir als chronisch Erkrankte / Schmerzgeplagte nach Antworten auf die Fragen unseres Körpers suchen und danach streben unseren Gesamtzustand zu verbessern – allerdings ist es ein Problem, wenn wir nur noch auf der Jagd sind – „on the run“ sozusagen vor dem eigentlichen körperlichen Zustand. Denn unser Körper ist immer noch das Zuhause unserer Sehnsüchte, Gedanken und Keimzelle unseres Lebens – auch, wenn wir ihn manchmal lieber gegen einen anderen eintauschen wollen.
Wie kann man sich mit ihm „anfreunden“, wenn man gedanklich nur dabei ist, ihn zu optimieren und zu „bekämpfen“. Was bleibt dann übrig?
Grundrauschen aus Symptomen und Schmerzen
Ich selbst bin ganz sicherlich kein leuchtendes Beispiel in puncto Selbstliebe und oftmals verfluche ich meinen Körper als Ganzes oder irgendwelche Körperteile, die gerade wieder nicht ihren Dienst tun. Allerdings habe ich immer wieder aufs Neue feststellen dürfen, dass mir dieser ewige Kampf nicht bekommt. Er laugt mich aus – zusätzlich zu dem körperlichen Leid, was so mehr oder minder präsent das Grundrauschen meines Lebens darstellt.
Nur, weil wir etwas wissen, heißt das natürlich nicht, dass wir es umsetzen: Die meisten Raucher wissen, dass Rauchen ganz sicherlich nicht gut für sie ist – es lassen ist trotzdem so gut wie unmöglich. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und Gewohnheiten zu brechen geht einher mit viel Arbeit, das wiederum kann gerade bei chronisch kranken und eh schon gestressten Menschen nochmals zusätzlich „stressen“, d.h. wir verspüren vielleicht sogar erst einmal eine Verschlechterung und die absolut zulässige Frage mag aufkommen á la: „Ist es das tatsächlich wert?“
Akzeptanz – ein Weg für Coping?
Ich habe mich die letzten Jahre im Umgang mit meiner Erkrankung immer wieder mit dieser Thematik beschäftigt – und gelöst bekommen habe ich sie auch nicht. Ich selbst habe für mich persönlich nur feststellen müssen, dass ein gewisses Maß an Akzeptanz für die jeweilige Situation hilfreich ist: Erst wenn man die Situation (zumindest teilweise) zu akzeptieren lernt, sieht man die kleinen Möglichkeiten, die es noch gibt, das Leben zu verbessern, anstatt dem großen Gesamtbild „Gesundheit“ nachzujagen. Das kann ein regelmäßiges Natron/Magnesium-Bad sein oder die Atemübungen, die helfen oder .
Es sind die kleinen Rituale, die einen den Alltag erleichtern und einen dann auch wieder aufbauen für die großen Ereignisse wie tiefgreifende Untersuchungen, Vorstellungen in Unikliniken, OPs oder Krankenhausaufenthalten.
Ich weiß, wie groß die Versuchung ist, zu sagen, ich werde erst gesund und dann geht das Leben (wieder) los, dann wird es besser etc. Nach dieser Logik ist es nur verständlich, wenn man das Leben aufschiebt und sich sozusagen für die besseren Zeiten „aufspart“ bzw. jetzt 100% darauf konzentrieren möchte.
In den meisten Fällen ist das aber leider nicht von Erfolg gekrönt.
Das Leben genießen, Sachen unternehmen – auch wenn sie mehr Symptome bedeuten?
Angehörigen der CFS-/ ME-/ Autoimmun-/ MCAS-Community, die oftmals Abweichungen von ihrer Routine „büßen“ müssen, fällt es daher oft schwer, sich im klassichen Sinne „fallen zu lassen“ und das „Leben zu genießen“. Die Sorge vor Repressalien und den Folgen einer Aktivität führt teilweise dazu, dass sich Betroffene sehr viel versagen: Zum einen darauf bedacht, keine Verschlechterung zu provozieren, zum anderen in der Hoffnung, dass wenn sie erst gesünder sind, alles nachholen zu können.
Das Problem bei beiden nachvollziehbaren Gedankenspielen ist jedoch: Wir funktionieren nach dem Belohnungsprinzip und können uns nicht alles versagen. Das ist einfach auch einer der Gründe, warum oftmals Diäten nicht funktionieren und die Probanden hinterher mit mehr Kilos auf der Waage stehen als vorher.
Wir sind Wesen, die nicht immer nur „das Richtige“ tun, sondern manchmal nur auf den kurzfristigen Gewinn aus sind.
Manchmal kann es daher schon einfach sinnvoll sein, sich zu versuchen mit dem Ist-Zustand anzufreunden und in gezieltem Maße „über die Strenge zu schlagen“ anstatt verkrampft auf Tag X hinzuarbeiten, an dem alles besser ist. Diese Akzeptanz ist auch einen Schutz vor Verzweiflungsgefühlen, weil alle Einschränkung „doch nichts bringt“. Es schränkt die Fliehkräfte und die Gefahr von emtoionalen Tiefs etwas ein, die ein allzu fokussiertes Leben auf nur ein Ziel mit sich bringen kann,
Es ist wie im Kettenkarussell, je schneller es sich dreht und je mehr man versucht, nicht nach außen abgetrieben zu werden, desto mehr passiert es einfach. Das ist wiederum gar nicht gut für unser Ziel: Vielleicht sollten wir versuchen, das Ziel Gesundheit als eine Art Weg mit vielen Umwegen zu betrachten – auf jedem lernen wir etwas und nein, auch wenn wir gescheitert sind, war es nicht vergeblich! (Und wer jetzt denkt, die hat ja leicht reden – nein, habe ich nicht unbedingt 😉 und leider scheitere auch ich oft an meinen eigenen Vorsätzen.)
Chronische Erkrankungen bedeuten ein Auf und Ab
Ab einem gewissen Punkt ist es fast schon etwas fahrlässig, davon auszugehen, dass das Leben sein wird wie vor der Krankheit. Ich halte wenig von Behandelnden, die Patienten mit komplexen Erkrankungen versprechen, dass „alles wieder gut wird“. Oftmals frage ich mich, ob sie sich den Placebo-Effekt zu Nutze machen wollen, oder der Überzeugung anhaften, man dürfe bloß keine Zweifel haben, da dies wiederum nur dazu führen, dass der Patient dann „gedanklich nicht richtig mitarbeitet“. (Was ich von dieser Denke halte, führe ich in einem gesonderten Blogpost untermauert mit psychologischen Studien aus.)
Ab einem gewissen Erkrankungsgrad oder gerade bei chronischen Erkrankungen ist es wichtig, dem Patienten ehrlich zu sagen, dass eben Grundlage dieser Erkrankungen die Schwankungen über die Zeit sind. Das ist frustrierend und das mag sicherlich nicht jeder Patient hören – ich wollte das sicherlich früher auch nicht hören! – aber mir wäre der ein oder andere schmerzhafte Zusammenfall meines Weltbildes erspart geblieben.
Mittlerweile sehe ich in einem Arzt*Ärztin, Therapeut*in einen guten Behandler, wenn er mich auf seine Grenzen hinweist und mir eben auch sagt, dass er/sie nicht in die Zukunft sehen kann. Es spricht nichts dagegen, Dinge auszuprobieren. Allerdings sollte ein verantwortungsbewusster Behandler auf den Versuchscharakter hinzuweisen, um den Patienten nicht ins Bodenlose stürzen zu lassen, wenn es nicht funktioniert (und das tut es zu einem gewissen Prozentsatz eben oft nicht).
Wenn man von seiner Rolle als Dauerkranker und Patient frustiert ist, dann hilft es sich manchmal, sich in die Rolle von Behandlern und Familie hineinzuversetzen. Für die Patienten da zu sein, obwohl es frustrierend ist und man nicht vorankommt, ist auch nicht einfach.Das Gegenüber hat ja auch Ansprüche an seine Arbeit und möchte in der Regel helfen. Für mich ist es daher immer auch wieder augenöffnend, die Gegenseite zu erleben und bseispielsweise Patienten gegenüber zu sitzen. Daher weiß ich auch, wie frustriert man auch als behandelnde Person sein kann.
Doch wie kann ich mich mit meinem Ist-Zustand anfreunden?
Ich teile hier zukünftig immer wieder kleine Übungen, die mich persönlich weitergebracht haben und untermauere für die besonders kritischen Geister Mind-Body-Ansätze mit dem entsprechenden Stand der Forschung.
Bis dahin – sich vielleicht einfach ab und an ermutigen, den Körper Körper sein zu lassen, einen Tag in Träumen zu verlieren, so unrealistisch sie auch sein mögen oder aber Ziele / Pläne / Wünsche einfach Bulletpoints auf einem Stück Papier, das irgendwo in der Ecke liegt, sein zu lassen.
Ich wünsche dir einen möglichst beschwerdefreien und symptomarmen Tag. 🙂
Heilpraktikerin in eigener Praxis, Hypnosetherapeutin, Besitzerin eines verrückten Immunsystems mit autoimmunen Spezialeffekten, die sie nach ihrem Studium mit ebensolcher Hingabe medizinische anstatt wirtschaftswissenschaftlicher Abhandlungen wälzen lassen. Wenn ihre Gelenke und Mastzellen es zulassen: begeisterte Heimwerkerin
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Ein wunderbar ehrlich geschriebener Artikel, der nachdenklich stimmt, Grenzen aufzeigt, aber auch Mut macht und neue Wege aufzeigt. Danke, liebe Lisa, für Mut, Ehrlichkeit und Mitgefühl.
Hallo Erika,
schön, dass auch dieser persönlichere Artikel gut angekommen ist und du etwas mitnehmen konntest!😊
Ein schönes Adventswochenende,
Lisa
Ein schöner Artikel, der von Herzen kommt und Mut macht, sich mit dem eigenen Körper anzufreunden.
Hallo Christa,
danke für das Kompliment!
Sonnige Grüße und viel Mut und Kraft fürs Anfreunden! 🙂
Lisa