Fasten hat in der Medizin in den letzten Jahren ein regelrechtes Revival erlebt – nicht nur durch die Pionierarbeit des Gerontologen Prof. Valter Longo, der sein Wissen in mehreren populären Ratgebern zur seiner Longevità-Ernährung der Allgemeinheit nähergebracht hat, sondern auch in Tageszeitungen und Blogs häufen sich nun Infos über Intermittent Fasting („Intervallfasten“), also eine Verlängerung des Intervalls zwischen der letzten Nahrungsaufnahme eines Tages und der ersten Nahrungsaufnahme des Folgetages. Doch was genau steckt hinter dem Modus des Fastens und könnten sich dadurch auch positive Effekte bei Autoimmunerkankungen ergeben?
Studien beim Menschen, die das Fasten bei Autoimmunerkrankungen untersuchen, gibt es wenige, sodass noch kein abschließendes Urteil vorliegt. Positive Effekt zeigten sich in Untersuchungen bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis und in diversen Modellen und Tierversuchen auch bei anderen Autoimmunerkrankungen. Diese positiven Effekte lassen sich teilweise durch Autophagie (s.u.) erklären.
Eine kurze Worterklärung vorweg, bevor wir tiefer einsteigen: Fasting Mimicking Diets – kurz: FMD sind fastenähnliche Ernährungsprotokolle, bei denen Kalorien reduziert werden und der Körper in einen fastenähnlichen Zustand gelangt. Jedoch wird durch die Zufuhr von möglichst gesunder und nährstoffreicher Nahrung die Belastung durch den Organismus im Vergleich zum traditionellen Fasten gemindert. Valter Longo hat diese Interventionsstrategie mit seiner Forschung populärgemacht.
Caloric Restriction (CR) sind kalorienreduzierende Protokolle, bei denen ein bestimmter Prozentsatz an Kalorien im Vergleich zum benötigten Grundumsatz eingespart werden. Das führt bei bestimmten Tiermodellen und Untersuchungen ebenfalls zu einer Verlängerung der Lebensspanne, aber ist nicht nachhaltig durchführbar ohne negative Folgen.1
Was ist Autophagie?
Autophagie ist ein evolutionärer Prozess, der es Zellen erlaubt, körpereigene Zell- sowie Fremdbestandteile, z.B. Bruchstücke von Viren und Bakterien, die in der Zelle vorhanden sind, abzubauen und zu „recyclen“. Durch diesen Aufräumprozess kann der Körper aus alten Zell-Bestandteilen Material für Neues gewinnen.2
Mittels Autophagie können Zellen die Homöostase – also das Gleichgewicht – beibehalten. Der Autophagie-Prozess wird verstärkt durch externe Stresssignale wie z.B. Sauerstoffmangel (Hypoxie), Nahrungsentzug (Fasten!), DNA-Schäden und zelltoxische Stoffe (Zytostatika, landläufig „Chemo“).2
Die Idee hinter Fasten bei der Krankheitsprävention und als Anti-Aging-Hack besteht darin, den Körper also regelmäßig zum Aufräumen zu zwingen, damit er „minderwertige“ Bestandteile abbaut. Denn im Alter, aber auch bei Autoimmunerkrankungen häufen sich schlechter funktionierende Zellen, wie zum Beispiel dysfunktionale Lymphozyten. Lymphozyten sind eine spezielle Gruppe von weißen Blutkörperchen, die unter anderem auch für die Produktion von Antikörpern und die Immunabwehr verantwortlich sind. Wenn die Lymphozyten nicht mehr richtig funktionieren, kommt es zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems.1
Für die Wirkung des Fastens auf den Körper spielen Autophagie und die teilweise damit überlappenden Prozesse und Signalwege im Körper zusammen, beispielsweise das Mechanistic Target of Rapamycin (mTOR) und Sirt-1. Diese biochemischen Prozesse werden detailliert in einem Artikel zu potenziellen Vor-, aber auch Nachteilen von Autophagie beleuchtet.
Fasten und Autoimmunerkrankungen
Welchen Nutzen die Autophagie bei Autoimmunerkrankungen haben kann, ist noch nicht vollständig verstanden, aber Dysregulation selbiger scheint bei Morbus Crohn, Multipler Sklerose und Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) eine Rolle zu spielen.3
In einer wissenschaftlichen Untersuchung vergleichen die Forscher um Valter Longo hyperaktive Immunzellen, wie sie bei Autoimmunprozessen zum Tragen kommen, mit Krebszellen, die ähnliche Strategien zur Energiegewinnung entwickeln, um entzündungsfördernde Botenstoffe zu produzieren. Periodisches Fasten könnte dazu führen, dass die überaktiven Immunzellen vom körpereigenen Immunsystem entfernt und abgebaut werden.
Gleichwohl weisen die Forscher aber auch darauf hin, dass kalorische Restriktion, also die Begrenzung von Kalorien, auch unter Studienbedingungen nicht immer ein und denselben Effekt, zum Beispiel Lebensverlängerung, erzielt und in der Forschung zu Fasten und Kalorienreduktion Wert auf die Unterscheidung von der Nahrungszusammensetzung gelegt werden muss. Es ist noch nicht geklärt, wie hoch der Proteinanteil sein sollte/darf und wie sich das Nährstoffverhältnis am besten zusammensetzt.1
Fastenarten in wissenschaftlichen Untersuchungen
In klinischen Studien variieren die Fastentypen: Fasten ist also nicht gleich Fasten. Die Bandbreite reicht von Varianten, in denen die Kalorienzufuhr begrenzt wird, so dass sie unter dem Grundumsatz liegen, bis hin zur Nulldiät. Von Vater Longo wurde die sogenannte Fasting Mimicking Diet (FMD) entwickelt, die Kalorien temporär über fünf Tage reduziert.
Bei der Fasting Mimicking Diet wird darauf geachtet, dass eine ausgewogene, besonders nährstoffreiche Kost über die fünf kalorienreduzierten Tage aufgenommen wird, damit es nicht zu Nährstoffmängeln kommt und ungewollte Nebenwirkungen des Fasten vermieden werden.1
Zudem hat die kurze Fastendauer mit kalorienreduzierter Nahrungszufuhr den Vorteil, dass sie oftmals als deutlich angenehmer von der fastenden Person empfunden wird. Des Weiteren kann sie aufgrund der guten Nährstoffversorgung regelmäßig angewendet werden, um mehrmals im Jahr die positiven Effekte des Fastens nutzen zu können.
Fasten bei Rheumatoider Arthritis / Rheuma
Bei Menschen mit Rheumatoider Arthritis (RA) zeigten sich nach einer Fastenperiode von 7 bis 10 Tagen objektivierbare Verbesserungen wie eine Abnahme von Entzündungsparametern und eine Griffstärken-Zunahme im Vergleich zur Kontrollgruppe, die auf eine laktovegetarische Ernährung umgestellt wurde. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Fasten subjektive und objektive Verbesserungen bei RA mit sich bringe, allerdings seien diese positiven Effekte von kurzer Dauer. Der in der Untersuchung erhoffte positive Effekt durch eine laktovegetarische Ernährung bei RA stellte sich in der Studie nicht ein.4
Anscheinend spielen bei der RA immunologische Reaktionen auf Nahrungsmittel eine Rolle, die man beim Fasten umgeht. Denn Untersuchungen zeigen eine Verbesserung der RA, wenn die Ernährung umgestellt wird, z.B. auf eine glutenfreie, vegane Kost5 oder wenn eine Zeit lang nur Elementardiät6 konsumiert wird. Vor allem ist es vorteilhaft, wenn für den Patienten individuell Symptom-verschlimmernde Nahrungsmittel weggelassen werden.
Doch Ableitungen aus diesen zumeist sehr kleinen Studien sind schwierig. So zeigte sich in anderen Untersuchungen kein definitiver Zusammenhang zwischen RA und Fleischkonsum, sondern es scheinen weitere Faktoren hineinzuspielen, wie das Omega-3 und Omega-6 Verhältnis, der Fischkonsum usw.7
Des Weiteren ließ man die Probanden bei vielen Ernährungsinterventionen vor der Ernährungsumstellung fasten, sodass unklar ist, ob das Fasten oder die Ernährungsumstellung hier die entscheidende Rolle gespielt hat. Trotz dieser positiven Hinweise herrscht deswegen noch kein Konsens bzgl. einer Strategie, die man allgemein empfehlen kann.8 Mit allgemeinen Empfehlungen ist es generell aber eher schwierig, da sich die Verläufe bei Autoimmunerkrankungen oft stark von Person zu Person unterscheiden.
Fasten mit Systemischem Lupus Erythematodes (SLE)?
Fasten beeinflusst nicht nur über Autophagie die T-regulatorischen Zellen, die einen regulierenden Einfluss auf das Immunsystem ausüben, sondern auch über das Hormon Leptin. Leptin ist ein Hormon, das Hunger-, Sättigungsgefühl, aber auch die Geschlechtshormon- und Schilddrüsenhormonproduktion beeinflusst.9
In einem Experiment mit Mäusen, die an der Autoimmunerkrankung Lupus (SLE) erkrankt waren, zeigte sich, dass durch den Status der Hypoleptinämie (also zu wenig Leptin im Blut) eine Steigerung der funktionalen regulatorischen T-Zellen hervorgerufen wurde. Die Gruppe der T-regulatorischen Zellen wirken immunmodulierend und sorgen dafür, dass überschießende Reaktionen des Immunsystems unterdrückt werden. Dieser Effekt wurde rückgängig gemacht durch den Ersatz des (bis dahin verminderten) Leptins.3 Leptin vermindert sich beim Fasten – wahrscheinlich durch die Reduktion von Glukose und Insulin.10
Eine Übersichtsstudie kommt zu dem Schluss, dass durch Kalorienrestriktion bei Systemischem Lupus Erythematodes positive Effekte erzielt werden (z.B. auf Fatigue). Besonders bei übergewichtigen SLE-Patienten wird eine Kalorienreduktion zur Gewichtsabnahme und zur Verbesserung von Blutfettwerten angeraten.11
Aber nicht nur Kalorienverzicht, sondern auch die Umstellung der Ernährung hin zu einer Ernährung reich an Omega-3-Fettsäuren und mit Minimierung entzündungsfördernder Omega-6-Fettsäuren scheint einen positiven Effekt auf die SLE-Aktivität zu haben.11
Fasten und Multiple Sklerose (MS)
Als Basis für Forschungen zu Multipler Sklerose (MS) wird oft das murine Modell der EAE (experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis) herangezogen – sozusagen das Modell für MS in Mäusen. Sowohl kalorische Restriktion von 33-60% als auch eine ketogene Diät mit einer 4:1 Ratio von Fett zu Kohlenhydraten/Protein zeigen präventive Effekte und weniger Krankheitsaktivität bei MS in diesem Modell – jedoch konnten diese Maßnahmen das Erkrankungsfortschreiten nicht komplett stoppen.1
Auch alternierendes intermittierende Fasten (also einen Tag Essen, einen Tag Fasten usw.) verminderte die Krankheitsaktivität bei Mäusen. Auch wenn die Mechanismen noch nicht vollständig verstanden sind, wird die verminderte Krankheitsaktivität auf verminderte Zytokine wie IL-1ß, IL-6, IL-12 und IL-17 sowie TNFalpha zurückgeführt.1 Zytokine sind Botenstoffe des Immunsystems, die das Verhalten weißer Blutkörperchen beeinflussen und damit auch Entzündungsprozesse beeinflussen.
Bei MS muss allerdings nicht nur das Immunsystem unterdrückt, sondern auch die Regeneration von weißen Blutzellen und die Remyelinisierung der Läsionen gefördert werden. Letzteres bedeutet, dass sich die Markscheiden um den Nerv, die bei MS in Mitleidenschaft gezogen werden, wiederaufbauen.
Fasten und neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson
Autophagie spielt eine wichtige Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen durch seine Funktion, den Abbau von Proteinen in Zellen zu fördern. Proteinablagerungen gehen häufig mit Erkrankungen wie Parkinson, Huntington oder ALS einher. Besonders bekannt sind die Ablagerungen bei Alzheimer – im Fachjargon Plaques genannt.
Es ist bekannt, dass durch genetische Defekte oder andere biochemische Vorgänge oxidativer Stress und Entzündungsvorgänge gefördert werden, die die Entwicklung von Alzheimer vorantreiben können. Auch bei Parkinson konnten veränderte Autophagie-Prozesse nachgewiesen werden. Regelmäßiges Fasten kann hier ansetzen, indem es diese Prozesse vermindert und Autophagie fördert.12
Eine Untersuchung mit Mäusen zeigte, dass durch Kalorienrestriktion nervenzellschützende (neuroprotektive) Prozesse angestoßen werden können. Die Untersucher folgern, dass regelmäßige Kalorien-Reduktion (wie beim Fasten) eine einfache, sichere und kostengünstige Methode sein könnte, um einen therapeutischen Effekt bei neurodegenerativen Erkrankungen zu erzielen.13
Fazit
Die FMD oder andere Fastenprotokolle könnten auch bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Lupus und MS eine interessante, zusätzliche Behandlungsoption darstellen oder den Medikamenteneinsatz verringern. Aber auch wenn die FMD sich in menschlichen Versuchen als sicher herausgestellt hat und in einer anderen Untersuchung eine ketogene Diät als positiv bei MS bewertet wurde, besteht immer noch Forschungsbedarf und größere, randomisierte, kontrollierte Studien sollten mit Menschen und nicht nur in Tiermodellen durchgeführt werden.
Denn Langzeitfasten und chronische Kalorienrestriktion haben auch ungünstige Effekte auf den Organismus, beispielsweise kommt es zu einer verminderten Immunantwort oder einer schlechteren Wundheilung. Somit müssen andere Ansätze gewählt werden, wie zum Beispiel periodisches Fasten, damit keine Nachteile durch die Aufnahme zu weniger Kalorien auftreten.
Die Autoren um Valter Longo kommen zu dem Schluss, dass „eriodic treatment with a fasting mimicking diet (FMD) with a very low calorie and protein content has the potential to overcome the limitations listed above.“1 Das bedeutet übersetzt, dass die Forscher die Limitationen von Dauerfasten durch regelmäßiges Fasten mit eben jener Fasten-ähnlichen Diät (FMD), die einen niedrigen Kalorien- und Proteinanteil hat, beseitigen wollen.
Quellen
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- Antunes F, Erustes AG, Costa AJ, et al. Autophagy and intermittent fasting: the connection for cancer therapy? Clinics. 2018;73. doi:10.6061/clinics/2018/e814s
- Liu X, Qin H, Xu J. The role of autophagy in the pathogenesis of systemic lupus erythematosus. Int Immunopharmacol. 2016;40:351-361. doi:10.1016/j.intimp.2016.09.017
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- Hafström I, Ringertz B, Spångberg A, et al. A vegan diet free of gluten improves the signs and symptoms of rheumatoid arthritis: the effects on arthritis correlate with a reduction in antibodies to food antigens. Rheumatol Oxf Engl. 2001;40(10):1175-1179.
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